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Schüler gegen das Vergessen

Holocaust Gedenktag in der Centralstation

Moderationstext für den 27.1.2017 in der Centralstation

Heute haben Maren Kohlfahl und ich (Sadia Haji) die Ehre, Ihnen ein weiteres Projekt der Gruppe „SGVFD“ (Schüler Gegen Vergessen Für Demokratie) vorzustellen. Im Oktober 2015 besuchte der Geschichts-LK von Frau Sachse mit Pierre Jablon Auschwitz. Zusammen machten sie sich auf die Spurensuche nach seinen ermordeten Darmstädter Verwandten.

Auf diesem Bild sehen Sie Caroline Strauss, Hedda und Liese Juda, die in der Darmstädter Heidenreichstraße lebten, bevor sie 1939 nach Frankreich emigrierten, 1942 verhaftet und über Drancy nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden.

An diesen Zweig der Familiengeschichte von Pierre Jablon und Robert Liebenthal haben wir letztes Jahr erinnert.

Heute konzentrieren wir uns auf Robert Jablon, den Vater unseres französischen Unterstützers Pierre Jablon. Die beeindruckende Biographie von Robert Jablon ist das beste Beispiel dafür, wie man in verschiedenen Situationen seine Handlungsspielräume geschickt nutzen kann. Er hat stets genau hingeschaut und gefährliche Situationen geschickt gehandhabt.

Dieses Urteilsvermögen rettete sogar einigen jüdischen Kindern das Leben.


Unsere Präsentation haben wir in drei Phasen gegliedert, um die verschiedenen Lebensabschnitte von Robert Jablon zu verdeutlichen.


Die Vorfahren Robert Jablons flüchteten im 19. Jahrhundert aufgrund von Pogromen aus Poznan, Polen, nach Berlin. Sein Vater Hugo Jablonski ließ sich 1894 im Alter von 20 Jahren in Paris nieder. Dort wurde 1909 Robert Jablonski, später Jablon geboren. Seine ersten Lebensjahre verbrachte Robert Jablon sorglos in Frankreich. Nach einem Familienurlaub im Sommer 1914 in der Schweiz konnte die Familie Jablonski allerdings nicht mehr zurück nach Frankreich, da der Erste Weltkrieg ausgebrochen war. Da der Vater die französische Staatsangehörigkeit nicht beantragt hatte, und sie in Frankreich als Deutsche nun als Staatsfeinde galten, konnten sie nicht mehr zurück nach Paris. Aus dieser Not heraus zogen sie – mit den Großeltern - nach Darmstadt, weil enge Verwandte von ihnen dort lebten, eben unter anderem Caroline Strauss, Hedwig und Leopold Juda mit ihren Kindern Hans und Liese Juda. Dies mussten sie jedoch ohne den Vater - Hugo Jablonski - da dieser eingezogen wurde und als Übersetzer, im Rang eines Unteroffiziers, für die deutsche Armee im Kriegsdienst in Belgien eingesetzt wurde. Ein paar Monate nach dem unfreiwilligen Umzug wurde Robert Jablonskis Schwester, Alice Jablonski, in Darmstadt geboren. 1916 kam Robert Jablon auf das Realgymnasium in Darmstadt. In der Schule hatte er mit Sticheleien zu kämpfen aufgrund seiner französischen Herkunft und Sprache. Das war jedoch harmlos im Gegensatz zu dem Hass, der ihm in Köln entgegenschlug, wohin die Familie 1919 nach der Demobilisation des Vaters gezogen war, weil der Vater in Köln eine neue Arbeitsstelle gefunden hatte. Hier wurde Robert heftiger mit Antisemitismus konfrontiert. Aus Trotz gegen den aufkommenden Hass machte er im Jahre 1922 seine Bar Mizwa in der Liberalen Synagoge Kölns. Im Frühling 1923 zog die Familie nach Berlin. Als er in den Sommerferien dieses Jahres mit seinem Sportlehrer eine Kursfahrt in die bayrischen Alpen unternahm, sah Robert erstmals Braunhemden-Aufmärsche. – Im Herbst 1923 gefolgt vom Hitler-Putsch in München...


Alle anderen Sommerurlaube seiner Schulzeit verbrachte Robert Jablon in Darmstadt, wo er sehr gerne bei seinen Großeltern war (hier sieht man seinen Großvater Siegmund Strauss, der auf dem jüdischen Friedhof in Bessungen begraben ist). Im weltoffenen Haus seiner Verwandtschaft gingen auch Dichter und Philosophen ein und aus. Einer seiner Onkel war der Karikaturist Victor Strauss.

Die Familie war in Darmstadt sehr integriert und angesehen, bevor die Nazis an die Macht kamen.

1927 machte Robert Jablon sein Abitur in Berlin und ging im selben Jahr nach Freiburg, wo er das Studium der Rechtswissenschaften begann. Zeitgleich war es auch der Beginn seiner politischen Aktivitäten. Er freundet sich mit sozialdemokratisch organisierten Studenten an, alarmiert von dem Aufstieg der NSDAP.

Jablon kehrt wieder nach Berlin zurück und tritt einer Gruppe von pazifistischen deutschen Studenten bei. Bis 1930 arbeitet er für die SPD Reichstagsfraktion unter der Leitung des bekannten Parlamentariers Rudolf Breitscheid, einem Parteivorstand der SPD, der sich besonders als außenpolitischer Experte (auch für die dt.-frz. Annäherungen) verdient gemacht hat, im Reichstag. Von 1930-1933 absolviert er sein Referendariat an verschiedenen Berliner Gerichten.

1932 gelingt ihm ein spektakulärer Erfolg im Prozess gegen Carl von Ossietzky, in dem er dessen Freispruch erwirkt. Durch die 1933 eingeführten antijüdischen Gesetze verliert Jablon seinen Job. Verärgert durch die zögerliche Haltung der SPD gegenüber der rechten Gefahr, wechselt er zu einer linkssozialistischen Organisation mit dem Namen „Neu Beginnen“. Hier seht ihr einen Bericht der Gestapo, die die Treffen der Gruppe heimlich bespitzelte. Jablons Tätigkeit in dieser Organisation (unter dem Decknamen „Wagner“) führt zu seiner Festnahme durch die SA-Miliz. Dank guter Kontakte schafft es ein Kamerad, ihn freizubekommen. Er arbeitet weiter als Aktivist und reist durch ganz Europa. Zeitgleich ist er ganz weit oben auf der Fahndungsliste der Gestapo, die ihn in Großbritannien vermutet.

Eine dieser Fahndungslisten seht ihr hier

Letzten Endes geht er nach Prag, dort hält es ihn aber nicht lange und er zieht weiter nach Paris.

In Paris arbeitet er zunächst als ausländischer Journalist und bekämpft auf diesem Wege den Nationalsozialismus. Es gelingt ihm, die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen.


Eine seiner bemerkenswertesten Aktionen im Widerstand war die Rettung von 130 jüdischen Kindern. Alarmiert durch die Reichspogromnacht im November 1938 wurde unter der Schirmherrschaft von Germaine de Rothschild das „Komitee für² jüdische Kinder Deutschlands und Zentraleuropas“ gegründet. Im März 1939 kamen die ersten Konvois mit Kindern zum Chateau de La Guette. Dies war ein Schloss der Rothschild, welches sie den Kindern und ihren Pädagogen zur Verfügung stellten, damit diese dort wohnen konnten. Jablon war als Generalsekretär dieses Komitees dafür zuständig, diplomatische Wege zu finden, um die Ausreise der Kinder zu organisieren und zu finanzieren. Hierzu nahm er Kontakt bis zur Frau des amerikanischen Präsidenten, Eleonore Roosevelt, auf.

Hier seht ihr eine Vollmacht, die die Eltern der Kinder unterschreiben mussten. Damit erklärten sie sich einverstanden, dass das Kind ohne die Eltern in die USA ausreisen konnte.

Die Bilder, die ihr hier seht, sind, Zeichnungen dieser Kinder,

Sie zeigen die Hoffnung der Kinder auf Rettung in Frankreich, aber sie zeigen auch auch, welche traumatischen Ereignisse sie mitansehen mussten. Hier zum Beispiel, wie das Geschäft der Eltern während des Aprilboykotts 1933 von Nazis zerstört wurde.


Nachdem Frankreich 1940 von den Deutschen besetzt worden war, wird es für Jablon erneut gefährlich und er muss in die Schweiz flüchten. Dort findet er Zuflucht bei dem sozialistischen Akademiker Andre Ottemar. Jablon wird erneut festgenommen und mit seiner Frau Eva Jablonski, geb. Silbermann, zusammen in einem Zwangslager in Bern interniert. Nach einem Jahr voller Entbehrungen kommen sie frei und er beginnt in Genf das Studium „ der weiterführenden internationalen Studien“. 1942 musste Jablon ohnmächtig mitansehen, dass seine nach Frankreich emigrierten Darmstädter Verwandten verhaftet, in Drancy interniert und nach Auschwitz deportiert wurden.


Im Schweizer Exil wirkte Jablon an der Veröffentlichung der Aufklärungsschrift „ La lutte des Juifs contre les Nazis“ mit: Auf Deutsch: „Der Kampf der Juden gegen die Nazis“ Diese 1944 im Schweizer Exil erschienene Broschüre sollte dazu dienen, alle vorhandenen jüdischen Kräfte zum Widerstand aufzurufen und zu zeigen, was es zu diesem Zeitpunkt weltweit an jüdischem Widerstand gab.

Diese Publikation thematisierte zum ersten Mal die Niederschlagung des Warschauer Ghettoaufstandes (1943) und beleuchtet zum Beispiel die polnisch- jüdische Widerstandsgruppe „Hechaloutz combattant“ und das Aufbäumen der litauischen Partisanen im Holocaust gegen die Übermacht der SS und Wehrmacht. Das Buch ist der Beweis, dass es auch jüdischen Widerstand gegen die Vernichtungspolitik der Nazis gab.

Auf diesem Bild sieht man eine Seite aus dieser wichtigen Quelle, welche genau aufzeigt, dass zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war, dass und wie die Nazis über eine Millionen Juden industriell in Ausschwitz-Birkenau ermordeten.

Eine deutsch-französische Projektgruppe unserer Schule hat Teile dieser Schrift für die weitere Arbeit übersetzt und ausgewertet. Die Originalquelle soll in Kürze mit Hilfe von Wissenschaftlern in Berlin professionell übersetzt und veröffentlicht werden.

Im Juni fährt eine Projektgruppe unserer Schule nach Berlin, um die Studien zu den Rettungstaten von Robert Jablon und Major Karl Plagge (dem Darmstädter Schindler) in der Gedenkstätte „Stille Helden“ in Berlin fortzuführen. Geplant sind auch Gespräche mit Pierre Jablon und seinem Cousin Robert Liebenthal.


Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Robert Jablon mit seiner Frau Eva und ihrem im März 1944 unter abenteuerlichen Umständen in Genf geborenen Sohn Pierre nach Paris zurück, wo dieser bis heute lebt. Sein Vater arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg über 30 Jahre als Generaldirektor der Rothschild-Bank in Frankreich und starb im Alter von 99 Jahren in Paris.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aufgrund der Stolpersteinverlegungen für die ermordeten Mitglieder der Darmstädter Familien Strauss und Juda freundschaftliche Kontakte zu ihren Nachfahren entstanden sind. Dadurch gewinnen wir Einblicke in jüdisches Leben vor, während und nach dem Holocaust.

Wir stellen fest: Auch wenn einigen Mitgliedern der Familie die Flucht ins Exil gelang und sie sich wieder ein neues Leben in GB, F und in den USA aufbauen konnten, gehört diese Familie zu den Opfern des Nationalsozialismus, weil ihre Existenz in Darmstadt komplett ausradiert wurde. Ein Grabstein des Urgroßvaters und Stolpersteine in der Heidenreichstraße erinnern an diesen Teil der Darmstädter Geschichte.


Zugleich war es uns heute wichtig zu zeigen, dass unter zunehmend lebensbedrohlichen Umständen Robert Jablon als engagiertes Mitglied dieser weltoffenen Familie mit langem Atem versucht hat, in vielfältiger Weise aktiv Widerstand gegen die Nazis zu leisten. Daran möchten wir heute erinnern.


Vielen Dank für eure und Ihre Aufmerksamkeit!


Sadia Haji und Maren Kohfahl



Schüler Gegen Vergessen Für Demokratie

Darmstadt, 27.1.2017