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Rezension

Paulo Coelho: "Der Alchimist"

Rezensiert von Linda Mehdi, Q1 Lichtenbergschule, Darmstadt

Der brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho erzählt in seinem bekanntesten Roman „Der Alchimist“ die Geschichte eines andalusischen Hirtens und dessen persönlichen Lebensweg. Das Buch wurde in mehr als 80 Sprachen übersetzt und erschien im Jahr 1988 erstmals auf Portugiesisch. Der Verlag Diogenes veröffentlichte die deutsche Ausgabe 1996.

Santiago ist ein junger andalusischer Hirte, der nach wiederholtem Träumen von den Pyramiden und nach einigen Unsicherheiten beschließt, diesem nachzugehen. Auf seiner Reise nach Ägypten muss er sich vielen Schwierigkeiten stellen, die er jedoch unter anderem durch Begegnungen mit einem König, einem Engländer und einer in der Wüste sesshaft gewordenen Frau zu bewältigen weiß. In einer Oase inmitten dieser Wüste angekommen trifft er schließlich auf einen Alchimisten, der ihn auf seinen persönlichen Lebensweg leitet und ihn die sogenannte „Sprache der Welt“ lehrt. Am Ende des Romans scheint Santiago wieder am Ausgangspunkt seiner Reise zu sein. Diesmal steht er jedoch als ein ganz anderer Mensch vor der verlassenen Kirche, in der er zuvor den Traum von Ägypten gehabt hatte.

Bevor der eigentliche Prolog beginnt, zitiert Coelho einen Abschnitt aus dem Lukasevangelium der Bibel. Dabei geht es um zwei verschiedene Frauenbilder, die sich im Folgenden unterscheiden: Maria lauscht gespannt den Geschichten des „Herrn“, während die zweite Frau namens Marta sich bemüht diesem zu dienen. In demselben Maße wie die erste Frau hört auch Fatima, die bereits zuvor erwähnte „Wüstenfrau“, den Erzählungen Santiagos gespannt zu und hat damit „das gute Teil erwählt“ und „das soll nicht von ihr genommen werden“ (vgl. Lukas, 10: 38-42). Im späteren Verlauf des Romans verliebt sich der Reisende in sie und lernt damit „ jene Kraft, die älter war als der Mensch oder selbst die Wüste, […]“ (S. 99, Z. 21-22) kennen.

Der Bibelvers ist eine Anspielung auf die Jugendzeit des Autors, in der er eine Jesuitenschule besuchte und von seinen Eltern schon im jungen Alter religiös geprägt wurde. So spielen auch biblische Motive wie die Nächstenliebe im Roman eine größere Rolle und es ist von „koptische[n] Kl[ö]ster[n]“ (S.160, Z.8) und „[der] Herrlichkeit Gottes“ (S.160, Z. 3) die Rede. Auch die Idee der Reise basiert auf eigenen Erfahrungen, die Coelho in seiner Jugendzeit gemacht hat, als er trotz Widerspruch seiner Eltern unter anderem durch Europa und Nordafrika gereist ist. So widmet er ein Kapitel dem familiären Hintergrund des Protagonisten und schreibt: „In den Augen des Vaters konnte er auch den Wunsch lesen, in die weite Welt hinauszuziehen. Eine Sehnsucht, die in ihm fortlebte, trotz der Jahrzehnte, in denen er versucht hatte, sie über Wasser und Nahrung und einem festen Platz zum Schlafen zu vergessen.“ (S.16, Z.15-19) In „Der Alchimist“ sind daher auch viele weitere autobiographische Elemente wiederzufinden, die Coelho genauso in weiteren seiner Werke wie z.B. „Der Zahir“ oder „Elf Minuten“ nutzt.

Mit nicht mehr als 176 Seiten handelt es sich bei diesem Werk um einen vergleichsweise kurzen Roman. Man sollte sich jedoch nicht davon täuschen lassen, denn Coelho nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise, die scheinbar eine ganze Lebenszeit beinhaltet. Zu Beginn der Geschichte ist Santiago nämlich so an seine Tätigkeit als Hirte gewöhnt, dass er zögert, seinem Traum nachzugehen und erst die Begegnungen mit einer Traumdeuterin und Melchisedek, dem König von Salem, bestärken ihn darin, ein Schiff nach Ägypten zu nehmen und sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Dort angekommen muss er sich der Sprachbarriere, einer neuen Umgebung und der folgenden Erkenntnis stellen: „Plötzlich erkannte er, daß er die Welt entweder mit den Augen eines armen, beraubten Opfers sehen konnte oder aber als Abenteurer, auf der Suche nach einem Schatz.“ (S. 49, Z. 14-16). Santiago entscheidet sich für den Weg des Abenteurers, und diese Entscheidung ist es, die den weiteren Verlauf des Buches prägt, ihn am Aufgeben hindert und seine Zweifel besiegt.

Coelho bedient sich einer poetischen Art und Weise die Umgebung, Gedanken und Gefühle, sowie die Charaktere zu beschreiben, weswegen der Roman nicht selten auch als Märchen bezeichnet wurde, so auch durch das deutsche Nachrichtenmagazin FOCUS. Die kurzen, einfachen Sätze stellen einen Kontrast zu den lehrreichen Weisheiten dar, die vermittelt werden, und nicht selten geht es um philosophische Themen. Vom Sinn des Lebens bis hin zur Liebe und Selbstfindung ist Gewichtiges dabei. Sogar Aspekte der Tierethik werden in dem Roman angesprochen: „‘Allerdings bemerken sie [die Schafe] nicht, daß die Wiesen wechseln und auch die Jahreszeiten, weil sie einzig mit Wasser und Nahrung beschäftigt sind. Aber vielleicht geht es uns genauso‘, dachte der Hirte.“ (S. 17, Z. 17-23). Durch den auktorialen Erzähler, der zur klassischen fiktionalen Erzählweise gehört, erlangt man nicht nur Einblicke in Santiagos Gedanken, sondern erhält ebenso die Sichtweise anderer Charaktere, wie z.B. die des Alchimisten. Dieser wird bereits im Prolog des Buches vorgestellt und ist damit noch vor dem Protagonisten die erste Figur, welche namentlich erwähnt wird.

Der Alchimist bezeichnet sich selbst als „alter, abergläubischer Araber“ (S.162, Z. 20) und ist neben Santiago vermutlich die Person mit dem größten Einfluss auf den Lauf der Geschichte, denn er nimmt Santiago als seinen Schüler auf, führt ihn durch die Wüste und bringt ihn damit seinem Lebensziel näher. Er klärt den Protagonisten auch darüber auf, dass nicht alle Menschen, die von sich behaupten, ein Alchimist zu sein, Metall in Gold verwandeln können, denn „[s]ie suchten den Schatz am Ende ihres persönlichen Lebensplanes, ohne jedoch den eigentlichen Lebensplan leben zu wollen“ (S. 133, Z. 6-8). Das ist auch der grundlegende Unterschied zwischen dem Andalusier und einem der Nebencharaktere, dem Engländer, der nach jahrelangen Studien und Reisen nur den Schatz der Alchimisten im Sinn hat, anders als Santiago, der sich den Weg zum Ziel macht.

„Folge den Zeichen!“, „Triff deine eigenen Entscheidungen!“ und „Hör auf dein Herz!“ sind Lehren, die Coelho mit diesem Werk anschaulich vermittelt. Ich empfehle „Der Alchimist“ gerne weiter, denn ich denke, dass es in dem Buch für jeden und für jede Generation etwas Neues zu entdecken gibt. Meiner Meinung nach ist „Der Alchimist“ mit keinem anderen Buch vergleichbar und nach dem Lesen ist mir vollkommen klar, warum Paulo Coelho mit Gabriel García Márquez zu den besten lateinamerikanischen Autoren zählt. Meine Erwartungen wurden mehr als übertroffen. Zudem ist das Buch sicherlich für jede Altersgruppe geeignet, jedoch denke ich, dass sich vor allem ein jüngeres Publikum mit dem auch als „Jüngling“ genannten Santiago identifizieren kann. Coelhos Roman wäre auch eine geeignete Ergänzung zum Literaturkanon der Schulen, denn es mangelt an internationalen und aktuellen Werken im Kanon.

„Der Alchimist“ hat mir von der „größten Lüge der Welt“ und von der „Weltenseele“ erzählt, aber das Wichtigste, das mir Santiago bereits zu Beginn der Geschichte beigebracht hat, ist: „Erst die Möglichkeit, einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert!“ (S.18, Z.3-4)

Aufgrund der genannten Aspekte gebe ich dem Buch 5 Lesepunkte.


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