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Frankfurter Buchmesse 2019

Literatur – Der Hoffnungsträger des 21. Jahrhunderts?

von Linda Mehdi, GK Q3 Deutsch Frau Sachse;
Linda ist Mitglied im SchreibKunst III-Projekt des Hessischen Kultusministeriums 2019-21.


„Wo Literatur ist, wo Kreativität ist, da ist auch immer Hoffnung.“ – mit diesen Worten eröffnete Bärbel Schäfer, Moderatorin aus TV und Hörfunk, am 19.10.19 die erste Literaturgala der Frankfurter Buchmesse und wo sie recht hat, hat sie recht! Schließlich braucht man sich nur eines der Bücher der fünf preisgekrönten Autoren durchzulesen, die an diesem anregenden Abend vorgestellt wurden, um sich einen Reim aus der Sache machen zu können. Wem das zu viel Aufwand ist, konnte sich vor Ort natürlich auch alternativ Passagen von Bela B Felsenheimer und Nina Petri vorlesen lassen.

Kaum wurden die Türen im Congress Center Frankfurt um Punkt 19:00 Uhr an diesem Abend geöffnet, stürzten sich auch schon die ersten Gäste auf die besten Plätze. Innerhalb von Minuten füllte sich der Saal „Harmonie“, in welchem es sich mehr als 2.000 Personen bequem machen können und trotzdem ist es kein Wunder, dass sich schon früh vor dem Raum nicht nur eine, sondern mehrere Menschenschlangen gebildet hatten. Bei diesem großen Andrang ergibt sich eine Frage, die manch einem vielleicht doch im Kopf herumschwirrt: Wozu die ganze Aufregung?

Bereits auf ihrer eigenen Internetseite hatte die Frankfurter Buchmesse dieses Jahr ordentlich Werbung für Ihre „literarische Gala mit internationalen Starautoren“ gemacht, sodass viele Interessierte diese Veranstaltung schon längst als Highlight der gesamten diesjährigen Messe vermerkt hatten. Wem kann man das denn verübeln, wenn man auf den Autorenfotos Margaret Atwood, Ken Follet, Maja Lunde, Elif Shafak und Colson Whitehead wiedererkennt? International war die Literaturgala also schon einmal auf alle Fälle und so ganz nebenbei waren mit Maja Lunde („Die Geschichte der Bienen“) und Margaret Atwood („Der Report der Magd“) sowohl das diesjährige Gastland Norwegen als auch Kanada, das Gastland der nächsten Buchmesse, an diesem Abend vertreten. Einzeln wurden die Autoren auf die Bühne gerufen, unterhielten sich mit den Moderatoren Bärbel Schäfer und Thomas Böhm und beantworteten Fragen, die sicherlich auch so manchem Leser auf der Zunge brannte.

Nun ging es auf der Literaturgala jedoch nicht nur um die Präsentation neuer Veröffentlichungen, sondern viel mehr um die Themen, die die Autoren in diesen Büchern ansprechen und was man aus diesen Geschichten für sich mitnehmen kann. Den Anfang machte eine Autorin, die sich unwohl fühlt in ihre Heimat zurückzukehren und daher im Ausland lebt, sich selbst als besonders pessimistisch einschätzt und außerordentlich gerne über Politik spricht. Auffallend beim Auftritt dieser Schriftstellerin war v. a. eine Sache: Während sie sprach, war das Publikum totenstill und es gab kaum jemand, der nicht an ihren Lippen hing, Gänsehaut inklusive. Ja, gemeint ist die türkische Schriftstellerin Elif Shafak, welche in ihrem neuesten Roman „Unerhörte Stimmen“ das tragische Schicksal einer Instanbuler Prostituierten thematisiert. Auf die Frage was sie zum Schreiben dieses Romans inspiriert hat, antwortete sie, indem sie von einem sogenannten „Friedhof der Geächteten“ erzählte. Diesen Friedhof gibt es tatsächlich und die Menschen, die dort begraben sind, wurden in den meisten Fällen von ihren eigenen Familien verstoßen. Dort findet man weder Inschriften noch Namen, sondern nur Nummern. Elif Shafak sah es als ihre Aufgabe, einer dieser Nummern eine Stimme zu geben. In diesem Fall ist es die Stimme einer ungehörten Frau. Zudem erwähnte die Autorin auch die politische Lage in der Türkei insbesondere für Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Dabei sprach sie auch das Gerichtsverfahren bezüglich einer ihrer kontroverseren Romane an, welches in der Türkei besondere Aufmerksamkeit auf sich zog. Diesbezüglich äußerte sie sich wie folgt:

„Ich schreibe über Themen wie sexuelle Belästigung, Kindesmisshandlung oder Kindsbräute. Ich schreibe über diese Probleme, weil es die Realität des Landes ist aus dem ich stamme und für mich ist es eine große Tragödie, dass die Behörden Werke von Romanautoren prüfen und untersuchen, anstatt diese Probleme zu bekämpfen und lernen mit ihnen umzugehen, anstatt die Gesetze zu ändern, anstatt Zufluchtsorte für Opfer von Missbrauch zu schaffen. Das ist sehr traurig.“

Trotz allem ist es der Bestsellerautorin wichtig, dass „wir niemals unseren Sinn für Humor verlieren“, denn es sei kein Zufall, dass es dort, wo es keine Demokratie gibt auch der Humor im öffentlichen Raum weder toleriert noch geduldet werden würde. Mit genau diesem Sinn für Humor beantwortete Ken Follet („Die Nadel“), bekannt für seine spannungsreichen Geschichten und detailgetreue Recherche, (weit hergeholte) Fragen über den Brexit und dessen Auswirkungen, insbesondere für junge Menschen, aber auch Fragen darüber wie es ist Leserinnen und Leser seiner Bücher aus ganz Europa zu begegnen. Nennenswert ist hierbei sein erster Gedanke: „Werden Menschen aus anderen Ländern, [aus anderen Kulturen], [meine] Geschichten wirklich verstehen? Aber natürlich tun sie das! Meine Bücher verkaufen sich in Brasilien und in China, Orte wo man denkt: Was machen die Menschen aus beispielsweise einer Geschichte, die vom Bau einer Kathedrale im mittelalterlichen England handelt?“. Er erklärte dies auf folgende Art und Weise:

„In Romanen geht es immer auch um etwas weitaus Größeres. Ich habe Bücher über den Bau von Kathedralen, dem Zweiten Weltkrieg und über die Religionskriege im 16. Jahrhundert geschrieben, aber tatsächlich geht es in all diesen Büchern über Menschen, die in Gefahr schweben und Menschen, die sich verlieben. Das wird von jedem auf der ganzen Welt verstanden.“

Ebenso wie Ken Follet greift auch Pulitzer-Preis Gewinner Colson Whitehead („Underground Railroad”) auf historische und gesellschaftliche Themen in seinen Romanen zurück. In seinem neuesten Roman „Die Nickel Boys“, welches auf einer wahren Geschichte eines schwarzen Jungen basiert, geht es um die sogenannte Jim-Crow-Ära und die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung der 1950-er Jahre. Wie bereits von Whiteheads weiteren Werken gewohnt, spielt auch in diesem Buch die Thematik der tatsächlichen und mentalen Flucht eine zentrale Rolle, denn bei der „Nickel“ handelt es sich um eine Besserungsanstalt für Jungen in Florida. Der Autor musste beim Erzählen dieser Geschichte nichts dramatisieren, da die erschütternde Wahrheit für sich spricht. Schließlich sprach der US-Amerikaner auch über aktuelle Themen wie die internationale Bewegung „Black Lives Matter“.

Nun spielte neben aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situationen auch ein weiteres Thema auf der Literaturgala eine große Rolle, welches nicht sonderlich überraschen sollte: der Klimawandel bzw. der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt. Maja Lunde widmet gleich eine ganze Buchreihe diesem Thema mit „Die Geschichte der Bienen“, „Die Geschichte des Wassers“ und ihrem diesjährig erschienenen Roman „Die Letzten Ihrer Art“, in welchem es vor allem um das große Artensterben geht. Interessant ist hierbei vor allem, dass Kinder „die Helden [ihrer] Geschichten sind“ und wie groß ihre Erwartungen für die jüngere Generation sind. Thomas Böhm sprach auch mit Margaret Atwood über dieses Thema und fragte:

„Warum leben gerade wir in entscheidenden Zeiten?“ . Dazu äußerte sich die Kanadierin wie folgt: „Oh, du weißt warum! Das ist die letzte Chance der Menschheit. Wenn wir es nicht bald hinbekommen, war’s das für uns. Warum das so ist? Darum.“ Deutlicher hätte ihr Appell wohl nicht sein können, aber was lernt man denn nun jetzt aus dieser Literaturgala über das Thema Hoffnung?

Egal ob es um politische, gesellschaftliche und/oder globale Probleme geht, Literatur deckt jedes Themenfeld ausgiebig ab und ist in der Lage uns nicht nur mögliche Zukunftsszenarien der Welt, in der wir Leben vor Augen zu führen, sondern auch das Hier und Jetzt auf teilweise erschreckende Art und Weise realitätsgetreu zu verarbeiten und darzustellen. Literatur ist in der Lage Menschen davor zu warnen Dinge des alltäglichen Lebens nicht für selbstverständlich zu betrachten, allen voran die Demokratie, aber das Erfreulichste an der Literatur ist die Möglichkeit sich mit Orten, Geschichten und Personen identifizieren zu können, fiktiv oder nicht, so auch mit den Geschichten der Autoren, die an diesem Abend anwesend waren. Jeder kann aus diesen Büchern lernen, an den Geschichten wachsen und ebenso Hoffnung schöpfen. Literatur ist mit der Vielfalt an Möglichkeiten also auch heute noch der perfekte Hoffnungsträger, Ratgeber und Trostspender, wobei nicht nur Autorinnen und Autoren ihrer Phantasie freien Lauf lassen können, sondern auch die Leserschaft. Fazit? Dystopie, hin oder her – am Ende des Tages ist es die Zuversicht, der Optimismus, der zählt oder wie manch einer vielleicht schon folgendermaßen gehört hat: „Die Hoffnung hilft uns leben“.

Link zur Veröffentlichung auf Lesepunkte.de