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Rezension

„Little Bee“ von Chris Cleave

rezensiert von Flora Wiegand, 11. Klasse Lichtenbergschule, Darmstadt

Chris Cleaves zunächst im Jahr 2008 in englischer Sprache und erneut 2014 erschienener Roman „Little Bee“, baut auf einer einzigen schicksalhaften Begegnung auf.

An einem Strand in Nigeria kreuzen sich die Schicksale von Little Bee, einer 14-Jährigen aus einem kleinen abgeschiedenen Dorf, und Sarah O’Rourke, Chefredakteurin eines schicken britischen Frauenmagazins, auf brutalste und unfreiwillige Weise.

Little Bee und ihre Schwester sind die letzten Überlebenden ihres Dorfes, nachdem sie das Pech hatten, auf einem wertvollen, unentdeckten Ölvorkommen zu leben, für dessen Besitz schon ihre Familie mit dem Tod bezahlen musste. Sarah und ihr Mann, die eigentlich nur einen Spaziergang machen wollten, um den Zwängen ihres Hotels zu entkommen, werden augenblicklich mit der Entscheidung konfrontiert: Sollen sie den Befehlen einiger Gewalttäter gehorchen und sich selbst den Mittelfinger abtrennen, um die beiden Mädchen zu retten oder sie ignorieren und die beiden damit ihrem sicheren qualvollen Tod überlassen?

Auch wenn diese Szene erst im Laufe des Romans auftritt, bestimmt sie doch von Anfang an die rätselhafte Grundstimmung. Der Roman setzt zwei Jahre später ein. Little Bee wird aus einem Abschiebegefängnis in Essex, England, auf nicht ganz legalem Wege freigelassen, sodass sie sich nun als Illegale durchschlagen muss. Um durchzuhalten überlegt sie sich in jeder Situation Suizidmöglichkeiten, falls „die Männer“ wiederkommen, die nie genauer identifiziert werden. Little Bee selbst versteht die Interessenkonflikte ihres Landes nicht und weiß nur, dass ihre Verfolger für ihren Tod bezahlt wurden.

Little Bees Vergangenheit ist so verstörend und brutal, dass man kaum ihren unermüdlichen, sturen Überlebenswillen und Optimismus verstehen kann. So erklärt sie uns gleich zu Beginn: „Denn glaubt mir, wer stirbt, bekommt keine Narben. Eine Narbe bedeutet: ,Ich habe überlebt.‘“ Generell handelt Little Bee verständlich eigennützig, um ihr Überleben zu sichern. Sogar ihren Namen haben sie und ihre Schwester geändert um die Hinweise ihrer Stammeszugehörigkeit zu verwischen.

Während ihrer Haft bringt sie sich das „Englisch der Königin“ bei, um der westlichen Welt ihre Geschichte zu erzählen. Dieses Paradox wird auch in der deutschen Übersetzung deutlich. Ihre nigerianische Herkunft schimmert immer wieder durch, ohne sich eines falschen bunt-fröhlichen, afrikanischen Klischees oder auch nur eines Hauchs von Orientalismus zu bedienen, die oft zur Identifikation afrikanisch-stämmiger Charaktere verwendet werden. Damit verleiht Chris Cleave der Protagonistin nicht nur eine realistisch nüchterne Stimme, die durch das Nichtwollen von Empathie genau diese gewinnt, sondern drückt gleichzeitig auch Kritik an der Heimatlosigkeit in einer globalisierten Welt aus.

Im Gegensatz dazu scheint Sarahs Leben geradezu überdurchschnittlich leicht und gewöhnlich: Sie hat eine beachtliche Karriere, einen erfolgreichen Ehemann, einen Sohn und eine Affäre. Mit den Geschehnissen in Nigeria kommt diese Welt jedoch gänzlich ins Wanken. Ihr Mann stürzt in tiefe Depressionen, die im Suizid enden. So muss Sarah sich nicht nur mit ihrem dreijährigen Sohn beschäftigen, sondern auch mit Little Bee, die kurz darauf vor der Tür steht und Schutz sucht.

Little Bee öffnet ihr die Augen für die Korruption und Ungleichheit der Welt. Sie fühlt sich in ihrer Umgebung und in ihrem Land sicher, unbeteiligt und unschuldig an jeglichen Weltgeschehnissen, eine Position, die in diesem Buch alle, die man (wohl vom Autor gewollt) als unsympathisch wahrnimmt, einnehmen. Doch wandelt sich Sarahs Weltbild durch die Aufnahme von Little Bee. Ihr eigenes Leben und Handeln erscheinen ihr oberflächlich und passiv. Sie muss sich dann aber für ihre Resistenz und ihr Aufbegehren gegen die Ignoranz der Diplomatie und ihr, meiner Meinung nach moralisch erstrebenswertes, Handeln rechtfertigen und zurückhalten.

So schnürt Cleave, bedachtsam zwischen den beiden Ich-Perspektiven springend, eine dunkle und zugleich lebendige Geschichte, in der die zwei Frauen ihre so unterschiedlich verdrehten Welten gemeinsam zu richten versuchen. Durch den sehr einfach gehaltenen Schreibstil, der gleichzeitig auch Klarheit in das Durcheinander bringt und den Romancharakter bewahrt, fühlt man sich den beiden Protagonistinnen schnell verbunden.

Gleichzeitig verliert sich Cleave auch in seiner Ausdehnung und Zerbröckelung der Erzählzeit mit Rückblicken und Vorblicken, sodass man schnell gewillt ist, Seiten zu überspringen, um mehr über Little Bees – scheinbar wichtigere – Geschichte zu erfahren. Dies liegt auch daran, dass es in der Gegenwartsdarstellung an mitreißender Handlung oder treffenderen Beschreibungen mangelt, die der Autor mit durchschaubaren, kaum zur Handlung beitragenden dramaturgischen Elementen zu kompensieren versucht.

Das Interessante an dem Roman ist grundsätzlich seine Realitätsnähe und die andauernde Aktualität seines Themas, die Situation von Flüchtlingen. Der Autor übt direkte Kritik an der westlichen Gesellschaft und Politik, wendet diese sehr raffiniert auch direkt am Beispiel seiner Charaktere an, sodass unser eigenes Weltbild angekratzt und jeder Leser indirekt zur Reflexion und zum Handeln aufgerufen wird.

Insgesamt ist dieses Buch trotz kleiner Mängel sehr empfehlenswert und eignet sich für all jene, die bereit sind, den wahren Problemen der modernen Gesellschaft ins Auge zu blicken

geschrieben am: 7. April 2015 unter der Betreuung von Margit Sachse