Dr. Manfred Efinger: „Waldemar Petersen“
rezensiert von Janik Wilhelm, Q4 Lichtenbergschule, Darmstadt
Eine Petersenstraße, ein Waldemar-Petersen-Haus, zum 100. Geburtstag dann eine feierliche Rede des Präsidenten, ein Akademischer Festakt und eine Ausstellung des Fachbereichs. Anerkennung, Würdigung und teils Hochachtung brachte die Technische Hochschule Darmstadt – seit 1997 dann Technische Universität – ihrem ehemaligen Professor für Elektrotechnik Waldemar Petersen (1880-1946) entgegen. Bis vor einigen Jahren.Im Jahr 2013 beschloss der Senat der TUD schließlich, die Petersenstraße umzubenennen. Das Waldemar-Petersen-Haus der TU im Kleinwalsertal heißt heute Darmstädter Haus. Dieser Wandel zeigt, wie kritisch inzwischen die Person Waldemar Petersen und seine Lebensleistung beurteilt werden.
Im Zentrum stehen dabei die Nachforschungen und Recherchen des Kanzlers der TU Darmstadt, Dr. Manfred Efinger, der seit seinem Amtsantritt im Jahr 2008 wiederholt über den Namen Waldemar Petersen stolperte. Seine Arbeit mündete letztendlich in der Veröffentlichung der 184 Seiten umfassenden Biographie „Waldemar Petersen. Athen – Darmstadt – Berlin“. Ihm gelang damit eine differenzierte Darstellung des brillanten Wissenschaftlers, engagierten Förderers der TH, erfolgreichen AEG-Vorstandsmitglieds und im Besonderen des Unterstützers sowie Nutznießers des NS-Regimes, Waldemar Petersen. Die TU Darmstadt umschrieb daher einen öffentlichen Vortrag über Waldemar Petersen im Juni 2015 mit dem treffenden Titel: „Waldemar Petersen – Karriere um welchen Preis?“.
Petersen wurde als Sohn des Theologen Waldemar Petersen sen. und seiner Frau Theodore Petersen am 10. Juni 1880 geboren. Sein Vater arbeitete einige Zeit am Hof des griechischen Königs Georg I. u.a. als Lehrer der Königskinder. Daher verbrachte Waldemar Petersen seine Kindheit in Athen – damals noch eine Kleinstadt – am Hof des Königs. Im Alter von elf Jahren zog Petersen mit seiner Familie nach Deutschland, erst nach Mainz und kurz darauf nach Darmstadt. Hier besuchte Petersen das LGG, entdeckte sein Talent für die Physik und übertraf wohl auch den ein oder anderen Physiklehrer des Gymnasiums. Auf das Abitur folgten ein Studium der Elektrotechnik an der TH Darmstadt und dessen herausragender Abschluss.
Nach Ende seines Militärdienstes wurde Petersen Assistent des Professors für Elektrotechnik Erasmus Kittler, ein namhafter Wissenschaftler, der Petersens Talent bereits früh erkannte. Nach dem Ausscheiden Kittlers als Professor wurde Petersen schließlich 1918 zum ordentlichen Professor und zu dessen Nachfolger berufen. Wegweisende Lehrwerke, Publikationen und bahnbrechende Patente, u.a. für die Petersenspule, erbrachten ihm in seiner Zeit an der TH Darmstadt den Ruf eines Pioniers der Hochspannungstechnik. Auch hochschulpolitisch hinterließ er seinen Fußabdruck. In seiner Zeit als Hochschulrektor von 1921 bis 1923 konnte Petersen eine deutliche Aufwertung des Sports innerhalb der TH und den Bau eines aus privaten Mitteln finanzierten neuen Gebäudes für die Hochspannungstechnik erwirken.
Als nächster Schritt folgte seine Industriekarriere. Seit 1926 arbeitete Petersen als Vorstandsmitglied in der AEG; dort gründete er das AEG-Forschungsinstitut, dessen Vorsitzender er wurde. Seine dauerhafte Beurlaubung von der THD im Jahr 1933 beendete für Petersen die Doppelbelastung aus der Arbeit im AEG-Vorstand und an der TH. Damit nahm seine intensive Einflussnahme auf die Geschicke der TH ab. Im Jahr 1944 erlitt Petersen dann einen ersten, 1945 einen zweiten Schlaganfall. Am 27. Februar 1946 verstarb er im Alter von 65 Jahren.
Soweit das Bild Waldemar Petersens, wie es bis weit nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Fachkreisen und innerhalb der TH Darmstadt vertreten wurde, das Bild eines brillanten Wissenschaftlers und Mäzens der TH Darmstadt. Mit seiner 2014 erschienenen Biographie entlarvt Dr. Manfred Efinger jedoch diese Schilderung des Lebens Waldemar Petersens endgültig als lückenhaft. Sein Werk stellt detailliert und herausragend recherchiert die positiven, gut bekannten wie auch die negativen, lange unbeachteten Facetten seines Lebens dar; dabei verzichtet er auf eine vorschnelle oder gar voreingenommene Beurteilung, überlässt dem Leser so über große Strecken selbst die Urteilsfindung und urteilt gegen Ende dann differenziert, schlüssig und ausführlich.
Mit seiner Biographie rückt Dr. Manfred Efinger die skrupellose Karriere Petersens im AEG-Vorstand ins Licht. Bereits als Rektor hatte Peterson seine nationalkonservative und antisemitische Haltung offenbart und dadurch Unstimmigkeiten mit der sozialdemokratischen hessischen Landesregierung provoziert. 1933 dann wurde Petersen Mitglied der SA und trat nach Ende des Mitgliederaufnahmestopps 1937 der NSDAP bei. In seiner Position bei der AEG richtete er die Firma auf die NS-Rüstungspolitik aus. Er wurde zum Wehrwirtschaftsführer ernannt, leitete eine Kommission für Beobachtungs- und Feuerleitgerät sowie eine weitere für Fernschießen. Er pflegte zudem ein gutes Verhältnis zu einigen hohen Funktionären des NS-Regimes wie insbesondere Albert Speer.
Die Biographie von Dr. Manfred Efinger ist eine überzeugende, herausragend recherchierte Darstellung Waldemar Petersens und seiner fragwürdigen Reputation. Die Leistung des Autors besteht insbesondere darin, dass er zahlreiche Personen zusammenbringt und die weit verstreuten Quellen über Waldemar Petersen bündelt. Die Biographie zeigt zudem beispielhaft, wie vor allem technisch-naturwissenschaftliche Forschung mit der NS-Rüstungspolitik verknüpft war und sich dieser bereitwillig unterordnete, welche Nähe zu rechtem Gedankengut innerhalb der intellektuellen Eliten vorhanden war und in welchem Ausmaß die Wissenschaft nach 1945 teils äußerst fragwürdig ihre Unbefangenheit verteidigte.
Damit ist „Waldemar Petersen“ für alle fachlich Interessierten unbedingt zu empfehlen. Persönlich freue ich mich besonders darüber, dass Manfred Efinger in einer seiner Fußnoten den Shoah-Überlebenden Leslie Schwartz und seine Erfahrungen als Zwangsarbeiter würdigt. Der Zeitzeuge Leslie Schwartz berichtete an der Lichtenbergschule Darmstadt bereits mehrfach Schülerinnen und Schülern über seine Erlebnisse als Jude im Zweiten Weltkrieg. (Vgl. Homepage http://www.schueler-gegen-das-vergessen.de)
Dr. Manfred Efingers Recherchen sind Teil eines weitreichenden Aufarbeitungsprozesses an der TU Darmstadt. Mit einem 2009 begonnenen Projekt versucht die TUD die Verstrickung von Darmstadts Technischer Hochschule in den Nationalsozialismus aufzuklären. Zu diesem Zweck untersuchten die Doktorandinnen Melanie Hanel und Isabel Schmidt unter Leitung des Professors Christof Dipper Themen wie den Einfluss nationalsozialistisch gesinnter Kräfte auf die Hochschulpolitik, die Anpassung der Professoren an die politischen Verhältnisse, die Nutzung von Handlungsspielräumen durch die Hochschule, aber auch die mangelnde Aufarbeitung und vorherrschende Verklärung in der Zeit nach 1945. Diese Aufarbeitungsphase der Universität gipfelte in dem Gedenktag „Es war unrecht“ am 20. Januar 2015; hier erklärte Dr. Manfred Efinger die aus politischen bzw. ideologischen Gründen erfolgten Aberkennungen von Doktor- und Ehrengraden sowie in diesem Sinne erfolgte Exmatrikulationen zwischen 1933 und 1945 für ungültig.
Diese Geste kam zu spät. Inzwischen sind alle Betroffen verstorben. Dennoch war sie ein wichtiges Zeichen gegen das geschehene Unrecht.
Weiterführende Lektüre
Isabel Schmidt und Dr. Manfred Efinger: „Es war unrecht. Dokumentation des Gedenktages an der TU Darmstadt vom 20. Januar 2015“, Technische Universität Darmstadt 2015
Melanie Hanel: „Normalität unter Ausnahmebedingungen. Die TH Darmstadt im Nationalsozialismus“, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2014, 463 Seiten, ISBN 978-3-534-26640-1, EUR 29,95
Isabel Schmidt: „Nach dem Nationalsozialismus. Die TH Darmstadt zwischen Vergangenheitspolitik und Zukunftsmanagement (1945-1960)”, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2015, 562 Seiten, ISBN 978-3-534-26748-4, EUR 24,95
Text von Janik Wilhelm, Q4 Lichtenbergschule Darmstadt
geschrieben am: 11. Mai 2016 unter der Betreuung von Frau Sachse
veröffentlicht auf Lesepunkte.de